7.000 Euro Schmerzensgeld hat der Oberste Gerichtshof einem Wiener Arzt, der seinen 15-jährigen Sohn jahrelang nicht sehen durfte, zugesprochen. Die Mutter soll nach der Trennung von ihrem Mann jeden Umgang mit dem Kind verhindert haben. Die Entscheidung des OGH ist bahnbrechend. Laut Experten könnten Tausende Klagen ebenfalls betroffener Elternteile folgen zumal die 7.000 Euro für Kamil Maarfia wohl zu niedrig bemessen sind. Die endgültige Entschädigung für seelische Schmerzen legt das Erstgericht fest. Und da dürfte es um viel höhere Summen gehen.
"Jemand, der zu Unrecht im Gefängnis sitzt, erhält 100 Euro pro Tag Schadenersatz", so Britta Schönhart, Anwältin von Kamil Maarfia. Einen ähnlichen Tagsatz für übergangene Elternteile hält sie für angemessen. "Mir gehts nicht ums Geld, sondern ums Prinzip", sagt hingegen Karmil Maarfia selbst. Ex-Frau habe Sohn manipuliert
Seine Ex-Frau habe den Sohn derart manipuliert, dass dieser im Juni 2008 weiteren Kontakt zu seinem Vater ablehnte. Er habe ihn aus diesem Grund nicht mehr gesehen, so der Wiener. In weiterer Folge wies das Pflegschaftsgericht jedoch einen Antrag des Vaters auf (neuerliche) Regelung des Besuchsrechts ab, weil ein weiterer Kontakt wegen der vehementen Ablehnung die seelische Gesundheit des Sohnes gefährdete, attestierte ein renommierter Psychologe dem Kind, was Maarfia anfocht.
Hätte die Mutter positiv auf den Sohn eingewirkt, so die Argumentation des Arztes in seiner Klage, würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit regelmäßige Treffen stattfinden. Maarfia litt laut eigener Aussage wegen des Kontaktabbruchs unter schweren Schlafstörungen, chronischer Ungewissheit, Albträumen und depressiven Verstimmungen. Die seelischen Schmerzen des Wieners hatten Krankheitswert erreicht, er forderte ein Schmerzensgeld in der Höhe von 9.000 Euro. Fehlende Judikatur bezüglich Schadenersatzansprüchen.
Das Erstgericht wies Maarfias Klage aus rechtlichen Gründen ab. "Die behaupteten gesundheitlichen Schäden des Klägers stünden nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem angeblichen Fehlverhalten der Mutter", hieß es beim erstinstanzlichen Urteil. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass Judikatur zur Frage fehle, ob die Vereitelung eines Besuchsrechts Schadenersatzansprüche begründe.
Als das Jugendamt schließlich entdeckte, dass der 15-Jährige sehr wohl Kontakt zu seinem Vater haben will, folgte der OGH dieser Argumentation: Die Verpflichtung des mit der Obsorge betrauten Elternteils, alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt, schützt auch das Interesse des anderen Elternteils am Aufrechtbleiben der Eltern-Kind-Beziehung.
"Wohlverhaltensklausel" benennt Verhaltensweisen
Diese sogenannte "Wohlverhaltensklausel" des Paragrafen 145b AGBG betrifft ein breites Spektrum an denkbaren Verhaltensweisen, wie etwa herabwürdigende oder beleidigende Äußerungen oder gar Gewalttätigkeiten gegenüber dem anderen Elternteil. Aber auch Vereinnahmungen, Aufwiegelungen oder gar Aufhetzungen des Kindes sowie Versuche, über das Kind Einzelheiten des Privatlebens des anderen Elternteils oder der mit der Obsorge betrauten Person zu erfahren und auf diese Lebensverhältnisse gar Einfluss zu nehmen.
Für den Fall, dass - wie Kamil Maarfia seiner Ex-Frau vorwarf - ein Elternteil gravierend gegen die oben angeführten Pflichten verstoßt, sind Schadenersatzansprüche des Klägers nicht von vornherein ausgeschlossen, so die Folgerung des OGH.
Schmerzensgeldanspruch als Präventiv-Funktion?
Ein drohendes Schmerzensgeld könne laut OGH etwas bewirken: dass Eltern aufhören, Kinder gegen den Ex-Partner aufzuwiegeln. Manche Eltern werden sich nach der Entscheidung davor hüten, Besuche zu torpedieren. Im Zusammenhang mit einer solchen Präventiv-Funktion fügt der OGH aber hinzu, dass beim Schadenersatzrecht der Ausgleich bereits eingetretener Schäden im Vordergrund stehe.
Familienrechtsexperten halten das Urteil für richtungsweisend, weil "eine bisher gesetzlich bestehende Verpflichtung, dass ein Elternteil den anderen Elternteil in den Augen des Kindes nicht heruntermachen soll, erstmals mit einer drastischen schadenersatzrechtlichen Folge ausgestattet wird - und das soll den Eltern ein Wink sein, das Kind nicht in ihre Streitigkeiten hineinzuziehen", meinte Michael Stormann vom Justizministerium.
Justizminsterin werde Urteil prüfen
Von Seiten der Justizministerin hieß es, man werde sich das Urteil genau anschauen und prüfen, ob es Nachbesserungsbedarf gibt. Wenn es gesetzlichen Änderungsbedarf gäbe, würde dies im Zuge der ohnehin geplanten Familienrechtsnovelle passieren, so Karls Sprecher. Einen Termin für Verhandlungen zu dieser Novelle zwischen der neuen Justizministerin und Heinisch-Hosek, unter anderem zur gemeinsamen Obsorge nach Scheidungen, gibt es bisher nicht.
Für die Frauenministerin zeigt das Urteil, dass das Besuchsrecht gleich bei der Scheidung geregelt werden sollte, erklärte ihre Sprecherin. Gesetzlichen Änderungsbedarf sieht die Ministerin nicht, es gebe ja schon Rechtsmittel, dass Frauen mit Strafen belegt werden können, wenn sie das Besuchsrecht unterbinden. Die "zweite Seite der Medaille" dürfe aber in der Debatte auch nicht fehlen, nämlich dass es viele Väter gebe, die ihr Besuchsrecht nicht wahrnehmen und Kinder gar nicht abholen. In diesen Fällen gebe es keine Strafen - es sei durchaus überlegenswert, über entsprechende Sanktionen nachzudenken.
Quelle: Kronen Zeitung und krone.at